Pia Janke

Kompositionen, Texte für Kompositionen, Libretti


Elfriede Jelineks Bezüge zur Musik sind vielfältig. Ein Stereotyp der Forschung, dass die Texte der Autorin musikalischen Prinzipien verpflichtet und im Eigentlichen als Sprachpartituren zu klassifizieren seien, hat auch insofern die Schwedische Akademie beeinflusst, als sie den Literaturnobelpreis an Jelinek mit dem »musikalischen Fluß von Stimmen und Gegenstimmen« begründete, den es in Jelineks »Romanen und Dramen« (Die schwedische Akademie 2005, S. 19) gäbe. Doch bei genauerer Betrachtung scheint die Übertragbarkeit musikalischer Begriffe auf die Literatur fragwürdig, handelt es sich doch um zwei aufeinander bezogene, aber nicht gleichzusetzende Medien. Ist das »Musikalische« in Jelineks Werken möglicherweise in den Aktivierungsformen des klanglichen Potenzials der einzelnen Sprachpartikel aufzuspüren, so muss eine Beschreibung des »Musikalischen« ihrer Arbeiten jedoch im Bereich des Metaphorischen verbleiben.
Abgesehen von diesen spekulativen Ansätzen, die häufig mit Jelineks eigener musikalischer Ausbildung enggeführt werden, ist eine Bestandsaufnahme von Jelineks Bezügen zur Musik überaus ergiebig und eröffnet ein breites Spektrum unterschiedlicher Aspekte: Die Autorin hat sich nicht nur in Romanen und Theatertexten mit der Musikszene als dem künstlerischen Feld, in dem der Ausschlussvorgang der Frau am gewaltsamsten ist, und mit der Funktion von Musik als Mittel des sozialen Aufstiegs befasst, sie hat sich auch in Essays mit der eigenen musikalischen Sozialisation, mit verschiedenen KomponistInnen, mit dem Verhältnis von Musik und Sprache und den Wirkungsweisen der Musik auseinandergesetzt sowie eine Bestimmung der Musik als »Hörbarkeit eines Zeitverlaufes« (Jelinek 1999a) vorgenommen. Untersuchenswert wäre vor allem Jelineks Auseinandersetzung mit Franz Schubert , den sie als den Komponisten beschreibt, der ihr »am meisten bedeutet, in seinem Verdämmern, in seiner Verlassenheit« (Dreyer 2002): Jelinek hat sich essayistisch mit Schuberts Musik beschäftigt, die, als »ungewisseste Musik, die ich kenne« (Jelinek 1997a, S. 155), ein fundamentales Fremd-Werden erfahrbar machen würde, sie hat Schubert -Titel für ihre Werke benutzt (u. a. für ErlköniginDer Wanderer, Der Tod und das Mädchen I–V), sie hat Texte seiner Lieder und Liedzyklen intertextuell aufgegriffen (u. a. Die schöne MüllerinWinterreise), und sie hat ganze Werke von ihm neu bearbeitet (u. a. Rosamunde und zwei Singspiele).
Jelineks Texte haben darüber hinaus auch zahlreiche KomponistInnen zu musikalischen Werken herausgefordert, u. a. Patricia Jünger, Olga Neuwirth,Reiner Bredemeyer, Dieter Kaufmann, Rolf Riehm, Burkhard Stangl, Bruno Strobl und Mia Zabelka. weiterlesen

aus: Janke,  Pia  (Hg.):  Jelinek-Handbuch.  Stuttgart:  Metzler  2013,  S.  228-236.


Pia Janke Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft. Arbeitete als Musiktheaterdramaturgin u.a. an der Wiener Staatsoper und der Oper Bonn. 2006 Habilitation über politische Massenfestspiele in Österreich 1918-38. Ao. Univ.-Prof. am Institut für Germanistik der Universität Wien. 2004 Gründung des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums, seither Leiterin. 2013-2020 Leiterin der Forschungsplattform Elfriede Jelinek der Universität Wien, seit 2020 Leiterin des Interuniversitären Forschungsverbunds Elfriede Jelinek der Universität Wien und der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien. Lehraufträge an der Wiener Universität für angewandte Kunst und an der Musikuniversität. Bücher u.a. zu Peter Handke, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, zum Libretto und zu interdisziplinären Themen.


ZITIERWEISE
Janke, Pia: Kompositionen, Texte für Kompositionen, Libretti http://www.elfriede-jelinek-forschungszentrum.com/wissenschaftsportale/musik/das-projekt/pia-janke-2/ (Datum der Einsichtnahme) (= Elfriede Jelinek und die Musik. Intermediales Wissenschaftsportal des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums).