Sabine PertholdSprachwitz und musikalische Ironie

Zur subversiven Komik bei Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth

Am Anfang war nicht das Wort, sondern eine umfassende musikalische Ausbildung: Die Autorin Jelinek erlernte von frühester Kindheit an Klavier, Blockflöte und Geige – später nahm sie Gitarre und Bratsche dazu. Zehneinhalb Jahre studierte Jelinek am Konservatorium Wien; 1971 schloss sie ihr Orgel-Studium ab. Obwohl es einige Kompositionen von ihr gibt, empfindet sie Komponieren als zuviel Getüftel, als „entsetzlichen Abstraktionsvorgang“; sie wollte nicht erst in Noten umwandeln, was ihr durch den Kopf schoss.[1] Das Scheiben war der bessere Weg. Fortan wurde die Schreibmaschine / der Computer ihr Tasteninstrument. Jelinek wurde zur „Sprach-Komponistin“, indem sie ihr sprachliches Ausgangsmaterial dem Klang nach sortiert und einsetzt, wodurch es zur Entstehung von veritablen Kalauern kommt: „Triebwagenfahrer, die gerade erst aus dem Tunnel ihres Triebes herausgerast und völlig aus-gerastet sind.“[2]
Der Kalauer funktioniert dann, wenn durch das Aufbrechen gewohnter Kontexte verblüffende und sezierende Konnotationen erreicht werden; so wie es Jelinek beschreibt, muss die Sprache konkret am Wort dran bleiben:

Ich liebe den Kalauer und werde ihn niemals, niemals aufgeben! Kalauer sind die Au-genblicke der Wahrheit. Wenn man lange genug auf die Sprache einprügelt, gibt sie, manchmal widerwillig, aber doch, ihre eigene Wahrheit preis, und zwar eine Wahrheit, die ihr selber innewohnt, zu innerst wohnt. Das ist übrigens eine Tradition, die viele Sprachen kennen (z.B. die puns im Englischen), und viele Autoren haben damit gearbeitet, ich denke nur an Arno Schmidt und, bis ins Äußerste getrieben, Joyce.[3]

Ähnlich drischt die Komponistin Neuwirth auf musikalische Versatzstücke ein; ihr Bestreben ist es, die Erkennbarkeit von Klängen permanent zu transformieren, bis das einstmals Vertraute so weit überlagert wird, dass nur mehr Sedimente übrig bleiben.[4] So entsteht auch bei Neuwirth aus der „Zerstückelung“ ihres Ausgangsmaterials, das sie in weiterer Folge künstlich/elektronisch rekonstruiert, eine metaphysische und zugleich humoristische Ebene.
Folgerichtig verwendet auch Neuwirth Klang-, Bild- und Sprachmaterialien verschiedenster Herkunft für ihre Arbeiten. Während Jelinek ihre akribisch ausgewählten Sprachschablonen ausweidet, sie in Textpartikel zerlegt und neu zusammenfügt, höhlt auch Neuwirth ihre Vorlagen aus, indem sie sie partikularisiert und skelettiert. Durch Verschiebungen, Brüche, Deformationen, Überlagerungen, rasch aufeinanderfolgende Kontraste, durch den Einsatz von Live-Elektronik und Filmzuspielungen generiert Neuwirth neue assoziative Bezüge. weiterlesen

[1] Vgl.: Koberg, Roland / Mayer, Verena: Elfriede Jelinek. Ein Porträt. Reinbek: Rowohlt 2006, S. 26.
[2] Jelinek, Elfriede: Raststätte oder Sie machens alle. In: Jelinek, Elfriede: Stecken, Stab und Stangl. Raststätte. Wolken.Heim. Neue Theaterstücke. Reinbek: Rowohlt 2004 (= rororo 22276), S. 69-134, S. 126.
[3] N. N.: Kalauer sind die Augenblicke der Wahrheit. www.nachtkritik-stuecke2010.de/elfriedejelinek/sieben-fragen (12.1.2017) (= nachtkritik.de).
[4] Vgl.: Drees, Stefan: Die Komponistin Olga Neuwirth [1999]. In: Drees, Stefan (Hg.): Olga Neuwirth. Zwischen den Stuehlen. Salzburg: Verlag Anton Pustet 2008, S. 88-93, S. 88.


Sabine Perthold Theater-, Film und Medienwissenschafterin, Germanistin. Konzeption und Mit-Organisation einiger Film- und Videofestivals: Rote Küsse (1989), Bilderwandel (1991), Dressed to film (1992) sowie der interdisziplinären Mediengespräche Let´s talk about Media. Medienkünstlerinnen im Gespräch (1993). 1996 bis 2005: Geschäftsführerin des Drehbuchforums Wien. Zurzeit Projektmanagerin und freie Publizistin im Bereich der Creative Industries. Jurymitglied in diversen Fach- und Auswahlgremien für Theater, Literatur und Film. Bücher u.a.: Rote Küsse FilmSchauBuch (1990) Medienkünstlerinnen im Gespräch. Positionsbestimmungen innerhalb der Medienkunst (1993), Das Drehbuch. Von der Idee zur Realisierung (2004).


ZITIERWEISE
Perthold, Sabine: Sprachwitz und musikalische Ironie. Zur subversiven Komik bei Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth. /libretti/baehlamms-fest/sabine-perthold/ (Datum der Einsichtnahme) (= Elfriede Jelinek und die Musik. Intermediales Wissenschaftsportal des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums).