Irene SuchyAm Ende komponiert sie

Jetzt gibt es den Roman für sie – die Geigenlehrerin. Ein Roman der Nichtswürdigkeit. Es durfte ihr Roman nicht werden. Sie kommt im Titel nicht vor.
Sie ist nicht einmal Geigenspielerin geworden, geschweige denn Geigerin, nur Geigenlehrerin. Es ist der Roman der Nachfolgerin, der Wasserträgerin, der Hüterin und Weitergebenden, die nicht hinzufügen darf, die das Vorhandene auf niedrigem Niveau verwalten soll, nicht verenden lassen soll, der man das Unterrichten, aber nicht das aktive Reproduzieren zutraut.
Keine Professorin, nur Lehrerin, keine Virtuosin, die Geige ist nur mehr im pädagogischen Wortsinn vorhanden.
Wie gering schätzt das Österreichische eine Geigenlehrerin: Schon beim Studium des Instruments lernen jene, die Lehrerinnen werden wollen, getrennt von jenen, die eine Solistinnen- und Orchesterlaufbahn einschlagen. Eine riesige Musikpädagogik-Abteilung bildet Instrumentallehrer und -lehrerinnen aus, deren höchste Qualifikation doch nur immer unter jener der Konzertfachklassen liegt. Wer Musikpädagogik studiert, ist scheel angesehen, verachtet, noch weiter unten in der Hierarchie der durch tagelange Aufnahme-Prüfungen Aufgenommenen sind nur die Schulmusiker und Schulmusikerinnen. Sie, die ebenfalls Instrumentalunterricht bekommen, sind sowieso Untermenschen der Musikausbildungshierarchie. Brüder, die Konzertfach studieren, würden niemals mit Schwestern aus der Musikpädagogik Kammermusik spielen.
Die Niederträchtigkeit der Schulmusikerinnen wird nur übertroffen von der Verachtung, die den Ausgebildeten beim Beruf entgegengebracht wird. Das Fach, das sie unterrichten, ist in der elterlichen wie in der kollegialen Hierarchie ganz unten – obwohl doch sein Studium jahrelange Vorbereitung erfordert: Musikerziehung, ein vermaledeiter Begriff aus unseligen Zeiten.
Diese Vorletzte der Musik-Machenden tritt in Neid auf, einem österreichischen Roman, in dem die Frauenfeindlichkeit in der allgemeinen Einander-Feindseligkeit aufgeht. Sie tritt als Nebensache auf, Teilzeit, weil der Gesellschaft ein Voll-Job in diesem Bereich nichts wert ist. Sie ist eine jener, die dankend Stunden-Jobs annimmt ohne Aussicht, von diesen Krumen leben zu können. Vergelts Gott. Es ist die Kirche, die längst ihre musikmäzenatische Rolle aufgegeben hat, von der Brigitte, die bis auf eine Initiale nachnamenlos, Teilzeit beschäftigt wird. Es ist keine Armut, die der Geigenlehrerin einen Teilzeit Job notwendig macht, es ist die Armut an Musik, die dem Roman nur einen Platz für eine Nachfolgerin lässt, wenig elegant, nur dem Notwendigsten verpflichtet, Jugend-los und unbegehrt. Die Leidenschaft der Dichterin, die in Anrufungen an Gott und an Mordversuchen das Blut der Musik hörbar machen will, überträgt sich nicht mehr auf Brigitte, deren Arbeit vom Vormachen des Nachmachens blutlos und unbefriedigend sein soll. Sie ist die Frau, die das Blut wegwäscht, nicht in Wallung bringt.
Wie die Fetzen der Musik, die eine Geigenlehrerin vorspielt, abgerissen und unorganisch, sind die Äußerungen der Geigenlehrerin, deren Aussagen nicht einmal durch einen Ehemann erhöht werden, sind die Musik-Streifen, die klanglos durch den Roman flattern. Erinnerungsfahnen wie die Kreutzer-Sonate, die immer am Niveau einer schlechten Geigenspielerin vorgestellt werden müssen.
Der Hass der Klavierspielerin ist der Klang- und Belanglosigkeit einer Geigenlehrerin in der Provinz gewichen. Und doch ist eine Bitterkeit hörbar, die von der unterdrückten, in Fetzen zerrissenen Musik übrig bleibt. Da ist die Energie spürbar, mit der die Dichterin ihre Musik unterdrückt, wie ihre Musik unterdrückt worden ist. Der Klang wird sich hervortun, es wird wieder Musik sein, sie wird aufsteigen. Ob sich die Dichterin noch einmal aufrafft, die Musik der Komponistin aufzuheben? Nach dem Privat-Roman die Privat-Musik – oder ist die mit Füßen getreten Musik der Boden, aus dem die Dichtung wächst, beinahe hätte ich „blüht“ gesagt.


Irene Suchy Musikredakteurin bei Ö1, lehrt an der Universität Wien und an der KUG Graz; außerdem arbeitet sie als Ausstellungsmacherin, Moderatorin, Dramaturgin und Literatin. 2016 erarbeitete sie zusammen mit Michael Mautner die Bühnenfassung zu Staatsoperette. Die Austrotragödie, eine Bearbeitung der Staatsoperette von Franz Novotny und Otto M. Zykan, die bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt wurde.


ZITIERWEISE
Suchy, Irene: Am Ende komponiert sie. /kompositionen/ueber-die-kompositionen/irene-suchy-2/ (Datum der Einsichtnahme) (= Elfriede Jelinek und die Musik. Intermediales Wissenschaftsportal des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums).