Gerold W. GruberIntermedialität in der Musik Olga Neuwirths, insbesondere in den Jelinek-Vertonungen

Die Thematik Intermedialität in der Musik Olga Neuwirths, insbesondere in den Jelinek-Vertonungen beinhaltet unterschiedliche Perspektiven und Zugänge, welche eine Fülle von Facetten zulassen, die im Folgenden eine beinahe groteske Kürzung erfahren werden.
Die Thematik umfasst – soweit ich es sehe – drei Schwerpunktsetzungen: Sie bezeichnet (1.) die Aufeinanderbezogenheit von unterschiedlichen Medien, unterschiedlichen Künsten, wobei die Erfahrung ihrer Alterität Muster in der Rezeptionshaltung evoziert, die nur durch die gegenseitige Einwirkung erklärbar erscheinen. (2.) Intermedialität kann aber auch jener Raum bedeuten, der sich im Ensemble der Künste aufbaut, der ein Werk in seiner Mehrdimensionalität repräsentiert, eine Ansammlung von vielschichtigen Konnotationen, die sich in einer komplexen Raumkonzeption wieder finden. Und schließlich (3.) hat nicht jede Musik, aber spürbar, hörbar und auch nicht selten schmerzlich erfahrbar gerade Olga Neuwirths Musik per se konstruktiv, strukturell und textuell eine kompositionstechnische Eigenart, die sich der intermedialen Faktur bedient, Intermedialität zum Kompositionsprinzip erhebt. Diesen drei Aspekten mögen meine Ausführungen folgen.

1.
Seit den antiken griechischen Festen, seit den mittelalterlichen Gregorianischen Gesängen und seit der Renaissance der Antike in der neuzeitlichen Oper waren Musik und Sprache aufeinander bezogen, aufeinander angewiesen, konkurrierten, bekämpften, beschämten einander.
Die Konzeption des Miteinander geriet oft unversehens ins Gegeneinander. Die Bezüge zwischen Sprache und Musik sind vielfältig, insbesondere ergibt die formale Konzeption der Abfolge von „sinnhaften“ formalen Abschnitten einen interessanten Bezugsrahmen, der ein gegenseitiges Aufnehmen von Anregungen erkennen lässt. 
Ohne in eine ermüdende Aufzählung von signifikanten Details zu geraten, sei unter anderem erwähnt, dass sich etwa die in der Dichtung nicht selten aufzufindende vierzeilige Strophe mit Kreuzreim in der Form des ebenso äußerst häufigen Auftretens der musikalischen Perioden wiederfindet. In ihrer verdoppelten Gestaltung ist sie literaturwissenschaftlich bis in die Nibelungen-Doppelstrophe zurückzuverfolgen, musikalisch bis in die heutigen Popsongs weiter fortwirkend. Natürlich gaben diese und andere Analogismen Anlass, satztypische Konstrukte in der Musik nachzuweisen, die die Assimilation anstelle der Alteration setzen und daher als fragwürdig angesehen worden sind oder bisweilen auch Angriffen ausgesetzt waren. weiterlesen

aus: Janke, Pia (Hg.): Elfriede Jelinek: „ICH WILL KEIN THEATER“. Mediale Überschreitungen. Wien: Praesens Verlag 2007 (= DISKURSE.KONTEXTE.IMPULSE. Publikationen des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums 3), S. 401-409.


Gerold W. Gruber Studium der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien, Stimmbildung an der damaligen Hochschule (heute Universität) für Musik und darstellende Kunst Wien sowie Pantomime bei Samy Molcho.Seit 1983 Mitglied des  Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Arbeitsschwerpunkte: Österreichische Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, Methoden der musikalischen Analyse sowie Musik von vertriebenen, verfemten und ermordeten Komponisten. Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft, Mitglied des Advisory Board der International Association for Word and Music Studies, und Mitglied von CEPLA.


ZITIERWEISE
Gruber, Gerold: Intermedialität in der Musik Olga Neuwirths, insbesondere in den Jelinek-Vertonungen. /libretti/baehlamms-fest/gerold-gruber/ (Datum der Einsichtnahme) (= Elfriede Jelinek und die Musik. Intermediales Wissenschaftsportal des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums).